Martenstein, mein Martenstein.

Verkaufe ich Wein, bin ich Weinverkäufer. Doch fliege ich beim Winzer raus, weil der Bock mehr Durst hatte als der Gärtner, bin ich dann immer noch Weinverkäufer? Habe ich Medizin studiert, bin ich Arzt. Wenn ich aber den Kittel ausziehe und lieber Wein verkaufe, was bin ich dann? Bist du, was du kannst oder bist du, was du machst?

Ich bin Kolumnist. Denn ich schreibe Kolumnen. Gelernt habe ich das nicht. Ich mache aber auch andere Sachen und beneide jene, die nur Kolumnen schreiben, ein wenig darum. Früher habe ich Kolumnen für Stern Online geschrieben, vereinzelt für Zeitungen und Zeitschriften. Seit mehreren Jahren schon gibt es jede Woche „Guidos Wochenpost“, dazu bin ich in jeder Ausgabe des Mittelstandsmagazins mit dem sprechenden Titel „Der Mittelstand“ mit einem subjektiven Schlaglicht vertreten. Ich war drauf und dran, wieder für einen der ganz großen Titel zu schreiben, bin dann aber kurz vor dem Hafen am Unverständnis einer Chefredakteurin zerschellt.

Was aber wäre, wenn ich von heute auf morgen aufhörte, Kolumnen zu schreiben? Wäre ich dann nur noch Kommunikationsberater, Geschäftsführer und Speaker, aber kein Kolumnist mehr? Tatsächlich habe ich den Gedanken gehabt. Ganz leise, ganz schüchtern, aber er war da. Ressourcen sind ja begrenzt und wenn andere Aufgaben mehr davon bekommen, verschiebt sich das ganze System. Darunter, so fürchtete ich, könnten die Kolumnen leiden. Dann lieber gleich lassen.

Dieser Tage war dann Harald Martenstein zu Gast in Mainz. Jener alte weiße Mann, der so gerne damit kokettiert, ein alternder weißer Mann zu sein, der seit Dekaden für zwei Zeitungen Kolumnen schreibt und der im persönlichen Umgang so höflich ist. Er war so höflich, nach unserer ersten Begegnung, ich hatte ihm nach einem gemeinsamen Auftritt mein Buch geschenkt, dieses kollegial zu loben. Es sei „klug“, schrieb er mir, er lese es häppchenweise, wie sich das bei guten Kolumnen gehöre und er lebe ein wenig in Sorge, unbewusst zu plagiieren. Martenstein ist ein sehr höflicher Mensch.

Nun sind wir ja Kollegen und als solchen habe ich ihn auch bei unserem kurzem Wiedersehen begrüßt. Bin ich, was ich kann oder bin ich, was ich mache? Wir sind Kollegen, wie der Falke und der Albatros Vögel sind. Wir spielen mit dem gleichen Ball, Martenstein halt im Flutlicht der Maracanas dieser Welt.

Manchmal, wenn mich die Muse so richtig feste küsst, gelingt mir eine Kolumne, die mir den wärmenden Gedanken schenkt, sie könnte genauso gut von Martenstein sein. Vermutlich maßlos überhoben, doch der Gedanke schmeichelt so schön. Auch wenn er von mir selbst kommt und dort auch bleibt. Ich würde das niemals öffentlich schreiben.

Nun gibt es, wenn ich als Kolumnist dem Kolumnisten Martenstein zuhöre (das ist noch schöner als lesen), zwei mögliche Reaktionen: Ich kann meine Bücher kompostieren, mein Schreibprogramm deinstallieren und den Notizblock verfeuern. Oder ich schreibe wie ein Derwisch, wann immer der Rest des Lebens mich lässt und freue mich wie ein Bub auf kleine große Momente.

Bist du, was du kannst oder bist du, was du machst?

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