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Dreikäsehoch am Kalterer See.
Ich war noch im Kindergarten, da zog meine Familie um. Es ging weit weg, nach Kaltern in Südtirol, dem überwiegend deutschsprachigen Teil Italiens. Umzüge waren immer wichtige Trigger für mich, so auch dieser. Heute sehe ich zurück und erkenne, wie wichtig sie waren. In Kaltern entwickelte ich die Fähigkeit, mich anzupassen.
Der erste große Umzug hatte uns von Bingen nach Landau in der Pfalz geführt. Dort gab es vieles Schöne, doch eines gab es nicht: Meinen Rhein, den wunderschönen Strom, an dem ich zuvor so viel Zeit, vor allem mit meiner Mama, verbracht hatte. Der Duft, die Schreie der Möwen, die endlosen Wellen, die Schiffe, die Enten – das war meine Welt gewesen. Plötzlich war diese Welt aus meiner Sicht für immer verloren gewesen. Ich konnte ja damals nicht ahnen, dass ich die erste Gelegenheit nutzen würde, um zurück an den Rhein zu ziehen, nach Mainz. Aus diesem ersten Umzug habe ich den Wunsch nach Klarheit mitgenommen und die tiefe Motivation bezogen, für anderer Menschen Klarheit zu sorgen. Deswegen schreibe ich.
Der zweite Umzug nach Kaltern, da wo es prächtige Wälder und mit dem Kalterer See den wärmsten Gebirgssees Europas gibt, führte mich hingegen in ein Umfeld, in dem ich Außenseiter war. Ein Deutscher, per se verdächtig und argwöhnisch betrachtet. Noch dazu sehr blond und vor allem nicht katholisch. Ich weiß gar nicht, was das schlimmste für die Angehörige dieses verschrobenen und überaus sympathischen Bergvolkes war, womöglich die Mischung all dessen.
Zunächst besuchte ich noch den Kindergarten, nicht mehr lange bis zur Einschulung. Aber lange genug, dass ein gewisser Klaus Unterholzer mich „Dreikäsehoch“ schimpfen konnte. Ich habe sofort geahnt, dass das nicht freundlich war, jedoch erst Jahre später verstanden, was er mir damit sagen wollte. Bald darauf trug ich (als einziger meiner Klasse) eine Schultüte und meine Lehrerin, Fräulein Andergassen, eine ebenso reizende wie betagte Dame, setzte mich neben Klaus Unterholzer. Mir rutschte das Herz in die Hose, doch tatsächlich wurden wir beste Freunde.
Nicht lange nach Schulbeginn wurde ein Klassenkamerad krank, da rief dessen Mutter bei uns an und fragte mich nach den Hausaufgaben. Meine Mama staunte nicht schlecht, als sie mich antworten hörte – in sauberem Südtirolerisch. Ich hatte binnen weniger Wochen deren sehr wohlklingenden Dialekt gelernt. Das war meine Art, der fremden Gruppe zu begegnen, ich assimilierte ihre Sprache und ihre Gewohnheiten, um akzeptiert zu werden. Meine Schwester, die außer blond die gleichen Handicaps hatte, wählte den anderen Weg und kultivierte ihr Hochdeutsch, bestand auf ihr Anderssein.
Als wir einige Jahre später wieder in die Pfalz zogen, lernte ich pfälzisch. Als ich auf Schüleraustausch nach England kam, war mein oberstes Ziel, für einen Engländer gehalten zu werden. Als ich als Teenager eine Woche in Berlin auf dem deutschen Turnfest war, versteckte ich die Akkreditierung unter meinem Mantel aus dem Second Hand Shop und gab mir große Mühe, für einen Ureinwohner der damals noch geteilten Stadt gehalten zu werden. Bis heute mag ich es gar nicht, als Tourist erkannt zu werden. In Nigeria war das ein echtes Problem.
Diese Anpassungsfähigkeit hat nicht nur Vorteile. Wenn ich beispielsweise Deutschschweizer treffe, beeile ich mich, ihnen die Geschichte aus Kaltern zu erzählen und anzukündigen, dass ich nach wenigen Minuten einen Zungenschlag zeigen werde, der ihrer Aussprache ähnelt. Das ist mir wichtig zu erklären, denn als ich dies einmal auf einer Zugfahrt versäumt hatte, wurde der Schweizer im Abteil säuerlich, er dachte, ich wollte ihn veralbern.
Da gibt es also eine Weiche, die auf zwei unterschiedliche Wege führt: Ich kann mich abgrenzen, was in der beruflichen Praxis dazu führen kann, dass ich immer das Gleiche abliefere. Es gibt Speakerkollegen, die machen das so, darunter hervorragende Redner mit ausgezeichneten Beiträgen. Ich bin jedoch nicht sicher, ob alle Unternehmen und Organisationen immer eine Rede aus der Konserve oder nicht lieber jemanden engagieren möchten, der von klein auf gelernt hat, sich veränderten Umständen und Anforderungen anzupassen.
Schauspieler haben dieses Talent, auch uns Kommunikativen steht es gut zu Gesicht, denn es ist ja in jeder Form der Kommunikation in jemandes anderen Auftrag unerlässlich, mich in den Auftraggeber hineinzudenken und in seinem Sinne zu schreiben, zu sprechen, zu wirken.
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