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Hinterm Haus begraben.

Es gibt Entscheidungen, die fallen nicht, weil ihre Tragweite uns schier erdrückt. Sie stecken uns im Hals wie ein Hähnchenknochen, wir bekommen keine Luft mehr und leiden arge Qualen. Während wir mental blau anlaufen, kommt die Entscheidung weder vor, noch zurück, wir stecken fest.

Gerade arbeite ich an meinem Imagefilm, also einem maximal fünfminütigen Stück, nach dessen Genuss ein Mensch, der mich noch nicht kannte, eine Idee von mir haben soll – genug Klarheit, um sich leicht entscheiden zu können: kennen lernen mit der Chance auf ein Engagement – oder eben nicht. Beides ist prima, denn der eine kann ein guter Kunde werden, der andere wird mir kein schlechter.

Selbstredend habe ich den Film beauftragt, die mit einem solchen Projekt verbundenen Aufgaben übersteigen meine Fähigkeiten bei weitem. Die Jungs von Epicworks machen einen tollen Job, der Buchtrailer sieht super aus und kommt toll an – doch der Imagefilm soll das Meisterstück werden.

Er steckt mir im Hals wie ein Hähnchenknochen. Ich fühle mich, als hinge mein Überleben vom Gelingen dieses Filmes ab. Ich kann mich nicht entscheiden, gebe kein Feedback. Denn so ein Film ist wie ein Badezimmer beim Neubau: Es gibt so unendlich viele Elemente, die entschieden werden wollen und jede dieser vielen kleinen Entscheidungen hat Einfluss auf das Gesamtergebnis.

Ich erinnere mich noch, als es darum ging, die Bäder in meinem ersten eigenen Haus zu bauen. Beim Sanitär-Laden meines Vertrauens musste ich mehr Entscheidungen treffen als ein hinter den feindlichen Linien abgesetzter Einzelkämpfer. Als die ebenso langmütige wie freundliche Frau auf der anderen Seite des Schreibtisches mir zu einem „Designersiphon“ für 96 Mark Aufpreis riet, platze meine Hutschnur und ließ einen sehr schlechten Eindruck bei allen zurück, die zu dieser Zeit noch im Laden waren.

Damit ich überhaupt in den zweifelhaften Genuss dieser Ausstattungsorgie kommen konnte, hatte ich ein paar Monate zuvor eine viel größere und weitreichendere Entscheidung zu treffen gehabt. Ich musste mich für ein Haus entscheiden.

Das war ziemlich schwierig – unerwartet schwierig. Denn diese Ereignisse lagen in der Phase der so genannten New Economy, für mich eine Zeit extremen beruflichen Erfolges. Milch und Honig flossen in dicken Strömen in unser Pressebüro mit seinen zwanzig Mitarbeitern, ich hatte mehr Lufthansa-Meilen als D-Mark in Aktien – und das wollte schon was heißen. Damals arbeiteten wir für AOL an mehreren großen Aufgaben gleichzeitig, Portale wurden komplett neu aufgesetzt, ein eigenes Redaktionssystem entwickelt. Ich war eine der Hauptfiguren in einem komplexen Projekt-Netz und hatte den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als Entscheidungen zu treffen: Über den AOL-Messenger, über Telefon, über E-Mail, über ein internes Ticketsystem und manchmal auch per SMS prasselten Fragen auf mich ein. Wie Bruce Lee in seinen besten Tagen wehrte ich ganz alleine in der Mitte des Dorfplatzes die auf mich zustürmenden Heerscharen ab, um am Ende des Tages den Siegerstaub von der Hose zu klopfen und zufrieden in den verdienten Feierabend zu radeln – oft lange nach Sonnenuntergang.

Doch für ein Haus konnte ich mich nicht entscheiden. Welche Qual. Lange wusste ich nicht, was es war, das mich nicht entscheiden ließ und litt sehr darunter. Kein Haus konnte es mir recht machen, keines war gut genug, keines durfte mich überzeugen.

Heute weiß ich, es war die Tragweite, mit der ich selbst diese Entscheidung aufgeladen habe.

Das erste eigene Haus, so hatte ich es mir vorgenommen, ohne das mit mir selbst tatsächlich geklärt zu haben, sollte auch das letzte sein. Der Garten musste nicht nur groß genug für Grillpartys, spielende Kinder und mindestens einen Apfelbaum sein, er sollte zugleich mein Friedhof werden. Wenn ein Garten mir nicht felsenfest versprach, dass ich in ihm bestattet werden könne, war es vorbei. Im Nachhinein wundert es mich überhaupt nicht, dass kein Haus diesen Anforderungen gewachsen war.

Bis ich Harald C. Jaeger (mit „ae“!) traf. Die Geschichte unseres Kennenlernens ist höchst skurril, sie werde ich an anderer Stelle erzählen. Hier will ich berichten, wie Harald, längst ein werter und treuer Freund geworden, in diesen Tagen meinen Knoten, der mich nicht entscheiden ließ, mit einem kraftvollen Hieb löste.

Er war nämlich Bauherr und Verkäufer jener Doppelhaushalte in einer alten Scheune, die mein erstes Haus werden sollte. Die andere Hälfte hatte er für sich behalten, er sollte also mein Nachbar werden. Als ich ihm erzählte, wie schwer ich mich mit der Entscheidung tue, strahlte er mich an: „Die Scheune ist jetzt das richtige Haus für uns und passt zu unserer heutigen Lebenssituation. Wenn ich in fünf Jahren anders leben möchte, vermiete oder verkaufe ich die Scheune eben!“

So einfach geht das?

Ja, so einfach. Denn die allermeisten der großen Entscheidungen unseres Lebens, jene, die sich so bedrohlich groß und schwer anfühlen, die uns im Hals stecken und unser Gemüt verdunkeln, sind gar nicht für die Ewigkeit gegossen. Wenn wir später etwas anderes wollen, ändern wir es eben. Im Falle des Hauses wird es verkauft und etwas anderes gekauft. So geschehen – in jeder Hinsicht zum Besseren!

So auch das Imagevideo. Was muss es mich heute jucken, ob die Texttafeln in einem Jahr noch perfekt sind? Wenn sie es nicht sind, lasse ich sie eben ändern und den Film neu ausspielen. Wenn es neue Aufnahmen von Vorträgen, Lesungen, Moderationen gibt, die mir besser gefallen als jene, die jetzt vorliegen, tauschen wir sie eben aus. Eine Kleinigkeit für Profis, kostet nicht die Welt.

Film-Jungs, ich weiß, ich habe es euch nicht leicht gemacht, weil ich es mir selbst schwer gemacht habe. Jetzt bin ich so weit. Ich muss nicht hinter diesem Haus begraben werden, der erste fertige Imagefilm muss nicht der beste aller Zeiten sein, hastenichtgesehen kommt mein Feedback und das Ding kann in die Welt!

Ich bin Guido Augustin, Speaker und Bestsellerautor, dies ist Guidos Wochenpost. 

✅ Ich habe, inspiriert von einem Instagram-Beitrag, eine Leseliste veröffentlicht. Sie enthält Bücher, die ich gerade lese oder gelesen habe, selbstredend alles ganz heiße Empfehlungen, derer nach und nach mehr hinzukommen werden. Hier geht es zu „Guidos Leseliste“.

✅ Mein neues Buch „Kennst du es nur oder kennst du es auch“ ist erschienen. Hier gibt es weitere Infos, hier kann es bestellt werden – oder selbstredend überall im Buchhandel.

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