Im Auf und Ab zur Weltmacht.
Als ich klein war, prangten in unserer Wohnzimmerschrankwand Bücher meiner Vorväter. Viel Schweinsleder, goldene Eichenblätter und ein wenig Muff. Goethe, Schiller, viel Heimat, schwere Lettern, der komplette Hermann Löns und was sonst noch in preußischen Kulturbesitz zwischen den Weltkriegen gehörte. Ein Buchtitel hatte es mir besonders angetan, obwohl ich es nie aufgeschlagen habe. Es hieß „Im Auf und Ab zur Weltmacht“.
Dieser Tage musste ich daran denken, weil es so in unsere Zeit passt. Weniger der Weg zu einer Weltmacht im engeren Sinne, aber der volatile Weg nach oben. Ich sehe dies als Privileg unserer Zeit, dass Wechsel möglich sind, dass die Gleise nicht mehr nur geradeaus führen müssen. Früher (ein wenig vor meinem früher) war es doch so, dass sich junge Menschen entschieden haben, was sie sein wollen im Leben: Sparkassenwirt, Mechaniker, Lehrer, Unternehmensberater, Mutter. In der Regel wurden sie das dann und blieben es. Der nächste Wechsel war der Übergang in die Rente und bis dahin waren sie schon richtig alt.
Heute ist das anders. Nicht nur, dass die meisten unserer Kinder einmal Berufe ergreifen werden, die es heute überhaupt noch nicht gibt. Sie können sie auch wechseln wie ein Kicker seine Vereine. Wie viele Menschen orientieren sich ab 40 oder später komplett um, entdecken die Esoterik für sich, coachen plötzlich oder öffnen eine neue Ladentür. Im Nachfolgemonitor der Bürgschaftsbanken sind rund ein Viertel der Unternehmensgründer, die das durch Übernahme eines bestehenden Unternehmens erledigen, über 60 Jahre.
Das einzig Beständige sei der Wandel, heißt es gerne. Das stimmt wohl auch. Und es bedeuted zugleich, dass wir lernen müssen, den Wandel, die permanente Veränderung, nicht als Übergang zwischen zwei Zuständen zu verstehen, sondern als den Zustand selbst. Alles fließt und wir sind mitten drin. Das bleibt so. Wir tun also gut daran, uns ganz schnell damit zu arrangieren, sonst tun wir uns mental mächtig weh.
Wenn wir Konstanten suchen, müssen wir mehr und mehr Metaebenen erklimmen, Linien über immer mehr Tage ziehen. Wenn die Ausschläge im Auf und Ab so stark sind, dass selbst die 30-Tage-Linie noch flirrt, muss es eben die 100-Tage-Linie sein, deren beruhigter Mittelwert Aussagen zulässt, wohin so im Großen und Ganzen die Reise geht.
Weil das Internet ein großartiger Ort ist und ich nicht weiß, ob das Buch noch bei meinen Eltern steht: Den Titel kann man googeln und findet in Online-Angaben von Antiquariaten auch bildgewordene Auszüge aus dem Werk von Walter Beckmann. Der Untertitel lautet „Marksteine deutscher Geschichte“. Der metergroße Klappentext „Ein Volk ohne Vergangenheit verdient auch keine Zukunft“. Ein Satz, der unter Verfechtern der Dolchstoßlegende sicher eine vollkommen andere Bedeutung hatte als heute – mit den alten Nazis im Rückspiegel der Volksentwicklung und den neuen Nazis als Ampelmännchen einer verstandsberuhigten Zone voll Minderwertigkeitsglauben, blindem Hass und Realitätsverweigerung. Euch keinen Millimeter.
Ups. Darauf wollte ich gar nicht hinaus.
Auf und Ab ertragen lernen, den Wandel als Stetiges annehmen, die Last- und Lustspitzen als solche erkennen und zu puffern wissen, den Weg in der Wirrnis wiedererkennen – das sind Kompetenzen, die unser Leben retten können.
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