Der zauberhafte Zauberzug.
Menschen lassen nicht gerne los. Das gilt für eine schlechte Ehe, in der manche eher zugrunde gehen, als sie zu beenden. Das gilt für ein Schokoladeneis in der Hand, das wir bei einem Sturz lieber festhalten als unseren Unterkiefer vor der Bordsteinkante zu bewahren. Das gilt für Vertriebskontakte, die wir um jeden Preis zu Kunden machen wollen. Eines haben diese drei Fälle gemeinsam: Sie machen allesamt krank. Die Seele, den Körper, das Unternehmen.
Weil die ersten beiden Fälle so offensichtlich und im professionellen Sinne nicht meine Expertise sind, möchte ich mich etwas ausführlicher mit dem dritten Fall beschäftigen, dem Vertriebskontakt. Schon früher habe ich von meinem ehemaligen Coach Felix Peng berichtet, der mir dereinst beigebracht hatte, dass ein Elevator Pitch, jene komprimierte Vorstellung des eigenen Unternehmens, der eigenen Leistung, des eigenen Kundennutzens nicht dazu da sei, neue Kunden zu gewinnen. Vielmehr, so die unendliche Weisheit des Herrn Peng, sei es die edelste Aufgabe des Elevator Patches, jemandem, der nicht mein Kunde werden soll, dies möglichst schnell klar zu machen.
Das Thema begegnet mir immer wieder, häufig im Zusammenhang mit Positionierung und den daraus entstehenden Resonanzflächen zwischen Menschen, die dazu führt, dass die einen gerne Kunden werden und die anderen nicht. Beides, sage ich dann immer, ist gut, denn im einen Fall bekomme ich einen guten Kunden, im anderen Fall bekomme ich keinen schlechten Kunden. Das erfordert ein wenig Weitsicht, einiges an Zuversicht und jede Menge Vertrauen, aber nach so vielen Jahren da draußen bin ich mir dessen sehr sicher.
Weil mir dieses Thema so wichtig ist, möchte ich es heute mit einem anderen Bild und aus einer anderen Perspektive erneut betrachten. Dazu inspiriert hat mich der Speaker Karim Kakmaci, wenngleich er das hier verwendete Bild in einem anderen Kontext verwendet.
Stell dir vor, du bis Lokomotivführer eines märchenhaften Zuges. Die Aufgabe deines Lebens ist es, mit möglichst vielen winkenden, jubelnden, glücklichen Menschen am Zielbahnhof, mehrere Tagesreisen entfernt, anzukommen. Über die Technik brauchst du dir keine Gedanken zu machen, denn es ist ein Zauberzug, in dem die Türen immer aufgehen, die Klimaanlagen auch im Sommer funktionieren und auf den alle möglichen Anschlusszüge warten.
Die Aufgaben, um dein Ziel zu erreichen, variieren während der Reise. Am Anfang, noch bevor der Kessel unter Dampf steht, gilt es, möglichst viele Menschen in den Zug zu bekommen. Dann muss die Maschine hochgefahren werden, du musst nun alle Energie aufbringen, damit der Zug anfährt, den Bahnhof verlässt und ordentlich Fahrt aufnimmt. Doch dein Ziel, mit glücklichen Menschen anzukommen, erreichst du erst, wenn du an den verschiedenen Zwischenstopps des Weges möglichst viele Menschen wieder aus deinem Zauberzug aussteigen lässt.
Wie passt das zusammen?
Noch einmal von vorne: Am Anfang deiner Fahrt als Unternehmer brauchst du Sichtbarkeit. Du machst Marketing, viele Menschen sollen wissen, dass es dich gibt. Sie steigen erwartungsfroh, aber auch ein wenig ahnungslos in deinen Zauberzug. Dann muss dein Zug anfahren, du brauchst die ersten Umsätze, die ersten Erfolge, Cashflow. das ist eine kritische Phase. Doch wenn der Zug einmal in Fahrt ist und über die Schienen rast, kann ihn nichts mehr aufhalten. Selbst wenn auf den Schienen eine Mauer aus Backsteinen stünde, ein solide gebauter Zug in voller Fahrt würde diese Mauer durchbrechen. Doch so lange dieses Momentum noch nicht erreicht ist, solange der Zug noch nicht den Bahnhof verlassen hat, genügen zwei der selben Backsteine vor den steenden Rädern, um die Fahrt komplett zu verhindern.
Nachdem du also über die Sichtbarkeit viele Menschen in deinen Zug bekommen hast, ist es deine Aufgabe, diese weiterzuentwickeln. Aus Menschen, die wissen, dass es dich gibt, werden solche, die genau wissen, was du anbietest und noch viel wichtiger: Die spüren, warum du genau das anbietest, was du anbietest. Um im Bild zu bleiben: Warum dein Zug so ausgestattet ist und diesen Zielbahnhof ansteuert. Menschen gehen in Resonanz – oder auch nicht. Sie freuen sich an dem Zug, deinem Personal, der Gegend, dem Ziel, der Geschwindigkeit und dem ganzen Rest – oder eben nicht. Wenn sie sich freuen, freue du dich auch. Wenn sie sich nicht freuen, halte an der nächsten Milchkanne an und lass sie lachenden Herzens aussteigen. Die Energie, die du aufwenden müsstest, um sie zu überzeugen und bei Laune zu halten, ist viel zu groß und steht in keinem Verhältnis zum Erfolg. Lieber kümmerst du dich um die anderen Fahrgäste und genießt die Fahrt selbst immer mehr.
Menschen lassen nicht gerne los. Aber sich von Passagieren zu trennen, die die Reise nicht wertschätzen und den anderen vermiesen, ist nicht nur eine schöne Übung, streng genommen ist es die Pflicht eines jeden verantwortungsbewussten Lokomotivführers. Aus dem Bild getreten nenne ich es Kundenbindung. Aus den vielen Möglichen die Besten zu finden, sie weiterzuentwickeln, sie zu Fans zu machen und immer mehr von ihrer Art zu finden – das ist das Geheimnis des zauberhaftesten Zauberzugs. Volldampf voraus!
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