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Zu blöd geht nicht.

Wer mich schon ein Weilchen kennt, hat auch meine Oma gotthabsieselig kennen gelernt. Ihr „mer muss nur mit de Leit redde“ ist als Leitlinie jeglicher Kommunikation nicht zu schlagen. Heute möchte ich mal wieder daran erinnern und zugleich appellieren, nicht nur mehr, sondern auch außergewöhnlicher zu kommunizieren.

Nun ist ja grundsätzlich jede Kommunikation besser als keine Kommunikation. Wir wissen, dass Menschen ohne Kommunikation verkümmern. Das sehen wir an pickeligen Konsolen-Nerds, die zwischen Pizzakartonstapeln ein trauriges Highscore-Dasein fristen, aber auch an Heerscharen businessuniformierter Berater, die zwar viel reden, ob sie gefragt werden oder nicht, aber tatsächlich nichts sagen, nichts zu sagen haben. Ich schwanke noch, ob ich deren sauerstoffverschwendende Geräuscherzeugung als Kommunikation bezeichnen soll. Wenn wir Kommunikation unter anderem damit definieren, dass sich der Sender für den Empfänger interessieren muss, ein klares Nein.

Das fehlt so oft im Alltag: Wenn mir Rentner im Supermarkt wortlos mit dem Einkaufswagen in die Spur fahren und es zu unbedeutenden, aber unfreundlichen Pattsituationen kommt, frage ich mich, warum sie nicht vorher aufschauen, Augenkontakt suchen und um Passage bitten. So schwer kann das doch nicht sein. Ich wundere mich dann, wie der Wiederaufbau eines zerbombten Landes mit diesen Menschen funktioniert haben soll, wenn jeder so vor sich hingewurschtelt hat und wage nicht, mir vorzustellen, was so einem Menschen widerfahren sein muss, dass er so in sich gekehrt nach außen den kleinen Vorteil suchen muss. Dann frage ich mich noch, wie man Pöbelrentner nennen soll, die so pöbelig sind, dass sie nicht einmal mehr pöbeln, da kommt schon der nächste hinter den Tetrapacksäften hervorgeschossen und zwingt mich zu einer kraftraubenden Ausweichbewegung, die mich beinahe in den Sonderposten Knabbereien hätte fahren lassen.

Ich will nicht wieder vom Verkehr als halsstarres Sinnbild des erbarmungswürdigen Zustands unserer Gesellschafter anfangen – nur soviel: Wenn sich eine Autobahnpassage um eine Fahrspur verengt, werden Menschen, die ganz nach vorne fahren, wie es Vorschrift ist (es ist Vorschrift!), um dann nach Reissverschlussart einzufädeln, weggeblockt und beschimpft.

Kurzum, ich wäre zu hohen Wetten bereit, dass sich unser aller Leben dramatisch entspannen, verschönern und womöglich auch verlängern könnte, wenn wir mehr miteinander kommunizierten, alleine, um unseren Mitmenschen mitzuteilen, was wir gerade vorhaben, damit diese darauf angemessen reagieren und uns dabei unterstützen können. So gesehen sind wir in diesem Land rhetorische Blinkmuffel erster Güte.

Dabei wäre es nicht einmal nötig, nachweislich sinnvoll miteinander zu reden. Reden reicht. Kollege Stephan Heinrich berichtete demletzt von einem faszinierenden Experiment, das diese These eindrucksvoll belegt. Der Versuch fand an der Warteschlange eines Kopierers statt – ist also schon ein paar Tage her, aber die seither stattgefunden Weiterentwicklung des Hirns können wir getrost vernachlässigen. Es klingt also ein wenig altmodisch, ist aber sicher noch uneingeschränkt gültig. Für die Jüngeren: Ein Kopierer ist ein großer grauer Kasten mit Handyscanner und Drucker in einem, du bekommst also unten auf Papier das raus, was du oben draufgelegt hast.

Da standen also Menschen in der Schlange am Kopierer, da kam ein anderer Mensch von hinten und bat darum, vorgelassen zu werden, er habe auch nur fünf Seiten zu kopieren. Er begründete dies damit, dass er es eilig habe. Wenn ich nun verrate, das 94 von 100 der so Gebetenen den Menschen vor sich ließen, kommen womöglich Zweifel auf, ob dieses Experiment denn in Deutschland stattgefunden habe. Hat es auch nicht, es war in New York. Ich rechne jedoch damit, dass die Systematik der Ergebnisse übertragbar ist, auch wenn die Prozentwerte hier zu Lande abweichen sollten. In der nächsten Runde versuchte dieser im Dienste der Wissenschaft Gehetzte das Gleiche – diesmal wieder mit fünf Seiten zu kopieren, jedoch ohne Begründung. Ob er denn bitte vor dürfe. Klappte bei weitem nicht so gut, nur noch 60 Prozent gewährten ihm Vorfahrt.

Jetzt kommt die spannende Wendung: In der dritten Runde schaffte der 5-Seiten-ich-habe-es-eilig-Mensch wieder, von über 90 Prozent vorgelassen zu werden. Die atemberaubende Begründung lautete „weil ich Kopien machen muss“. Wir können getrost davon ausgehen, dass alle, die an einer Schlange an einem Kopierer stehen, deswegen da stehen, weil sie Kopien machen müssen. Zumindest wäre dies eine ungeheuer plausible Erklärung dafür, dass sie an einem Kopierer anstehen. Ehrlich gesagt fällt mir keine alternative Begründung dafür ein.

Wir können also festhalten, dass eine offensichtlich schwachsinnige Begründung sehr viel besser ist als keine Begründung und so erfolgreich ist wie eine plausible Begründung. Das könnte uns im Alltag helfen:

„Ich konnte den versprochenen Text nicht rechtzeitig liefern, sonst hätte ich ihn ja früher abschicken müssen“ – „Nein, meine Suppe esse ich nicht, sonst wäre sie ja nicht mehr da“ – „Du sollst keinen Bayern-Spieler kritisieren, sonst verletzt du die Menschenwürde“ – „Nun sind es 140 statt der erbetenen 100 Gramm Aufschnitt, aber sonst wäre das Gewicht auch geringer ausgefallen“ – „Wir wollen eure grölende Stimme gegen Ausländer und Homos, weil unsere Chefin in der Schweiz mit einer Asiatin zusammen lebt“.

Ich muss gestehen, absurdes Schreiben macht Spaß.

Also ich werde demnächst im Alltag mit solchen Erläuterungen experimentieren und gerne berichten. Wenn der ein oder andere Leser es mir gleichtun möchte, legen wir gerne unsere Erfahrungen zusammen, ja?

Ich bin Guido Augustin, Speaker und Bestsellerautor, dies ist Guidos Wochenpost. 

✅ Ich habe, inspiriert von einem Instagram-Beitrag, eine Leseliste veröffentlicht. Sie enthält Bücher, die ich gerade lese oder gelesen habe, selbstredend alles ganz heiße Empfehlungen, derer nach und nach mehr hinzukommen werden. Hier geht es zu „Guidos Leseliste“.

✅ Am Freitag, 23.11. ab 17 Uhr stelle ich mein Buch „Kennst du es nur oder kannst du es auch – die besten Kolumnen für Umsetzer„, live in der Buchhandlung Hugendubel in Mainz, Am Brand, vor. Mein Weinsponsor Traubenglück ist am Start, mein Graphic Recorder Stephan Frank ist am Start – Du auch? Dann melde dich bitte kostenlos hier an, damit wir besser planen können!

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