Die Liste der Stille.

Der legendäre Musiker Miles Davis sagte einmal, die beste Note sei die, die nicht gespielt werde. Er achte ganz genau auf das, was er weglassen könne. Nun ist für die meisten von uns weniger die Frage, wie wir die Musik drei, vier Mal revolutionieren können, sondern vielmehr, was diese Weisheit für unser eigenes Leben bedeutet.

Ich habe mich die Tage mit einer jungen Modedesignerin unterhalten. Sie lebt, denkt und fühlt seit vielen Jahren sehr bewusst, man könnte sagen nachhaltig. Sie entscheidet anhand ihres Wertesystems, wie sie leben möchte und wie nicht. Und sie will ihre Branche verlassen. Es sei nicht möglich, als eigenes Modelabel oder für ein anderes Modelabel zu arbeiten, ohne immer neuen Konsum anzuheizen. Dabei hätten wir – und sie meinte zweifellos unser westeuropäisches „wir“ – doch längst alles und bräuchten nicht immer neue Kleider.

Das einzige vernünftige Modelabel sei kein Modelabel.

Die grundsätzliche Frage, welchen Ton wir nicht mehr spielen, finde ich hervorragend.

Wir leben in einer Kakophonie aus Reizen aller Art, derer wir ehrlicherweise nicht immer Herr sind. Wie auch, die Mechanismen der Verführer (nicht böse gemeint) sind so ausgeklügelt und auf Basis von riesigen Datenkaskaden und mit Hilfe von maschineller Intelligenz für unsereiner schwachen Mensch optimiert.

Der Blick in die Regale unserer Supermärkte, auf unsere liebsten Webseiten und Apps, durch unsere Kinderzimmer, Kleiderschränke und Garagen genügt, um sich dessen zu vergewissern.

Und dennoch: Wenn wir den Kopf heben und uns umsehen, was sehen, was hören, was riechen wir, was besser nicht da wäre? Wozu sollten wir besser schweigen, anstatt es zu kommentieren, ungeprüft zu verbreiten und uns anzumaßen, Themen von unüberschaubarer Komplexität zu durchdringen?

Was ließe sich wegräumen, verpacken, entsorgen, ohne dass es uns fehlen würde? Worauf können wir verzichten ohne Not, ohne Einschränkung? Was wäre kein Verlust, sondern ein Gewinn, wäre es weg? Welche Tonfolgen, welche Akkorde, welche Teile eines Stücks klingen ungespielt so viel besser? Welche Pause reißt keine Lücke, sondern schenkt uns Stille?

Wie so oft hilft auch hier nach dem stillen, bewussten, aufmerksamen Hinsehen, Zuhören, Einfühlen, die neuen Erkenntnisse aufzuschreiben. So entsteht ein exklusives Stück Papier – digital oder nicht. Und das ist keine neue Liste an Aufgaben, Besorgungen, Vermehrungen des immer gleichen, keine neue „to do Liste“, sondern es entsteht eine „Not to do Liste“. Erfahrungsgemäß fallen die ersten Einträge noch schwer, doch dann geht es eigentlich ganz einfach.

Eine Liste aller Töne, die in Stille besser klingen.

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