Deppenfasten.
Wenn die Konfetti nicht mehr fliegen, ist Fastenzeit. Zeit der Entbehrung, der Askese, der Reinigung. Ich mache mit. Dieses Jahr habe ich mir Deppenfasten vorgenommen. Ich fasse sie nicht an, ich rede nicht mit ihnen und vor allem: Ich ärgere mich nicht über sie.
Ein neues Auto ist bestellt, mit Auslieferung-Service. Der sollte freitags um 10 Uhr in München starten, um nach Mainz zu fahren. Um die Zeit, denke ich, kommt er noch einigermaßen durch, denn spätestens ab 14 Uhr bricht ja freitags der gesamte Verkehr zusammen. Um 12:30 Uhr meldet sich der Service, der Fahrer sei jetzt in München gestartet: „In drei Stunden ist er da!“ Ich habe die Strecke einmal in drei Stunden geschafft, das war einem Mittwochmorgen, gestartet bin ich in aller Herrgottsfrühe um 5:30 Uhr, hatte keine Angst vor dem Tod und 80 PS mehr als der Fahrer heute.
Vor Aschermittwoch und nach Ostern hätte ich mich ereifert, ihn zurechtgewiesen, wäre ihm in seiner Ahnungslosigkeit rücklings ins Gesicht gesprungen.
Aber es ist ja Deppenfasten. Da lache ich, wünsche gute Fahrt und gehe meinem Tagwerk nach, schließlich muss ich die Strecke ja nicht selbst fahren und habe keinen Termindruck. Ob er die von ihm vermuteten drei Stunden oder die von mir vermuteten sechs Stunden braucht, ist mir herzlich egal und ich lache.
Ich lache genau 3 Stunden 15 Minuten, da steht der Fahrer vor der Tür: „Tolles Auto“, sagt er sichtlich beeindruckt. So ein Heizer, denke ich, eh mir klar wird, dass er nicht in München gestartet ist, sondern in Greding, 118 Kilometer näher an uns. 3 Stunden 15, easy.
Szenenwechsel: Auf Facebook meldet sich einer jener Freunde, der im richtigen Leben ein schlauer Mensch ist, der offline alles im Griff hat und erfolgreich dabei ist. Im digitalen Leben dagegen ist er ein Vollhonk. Sein Facebook-Account sei gehackt worden. Deswegen gingen jetzt Nachrichten und Beiträge in seinem Namen raus, die für irgendwas Werbung machten, das sei nicht von ihm, er stünde schon mit Facebook im Kontakt, um wieder Herr seiner Hütte zu werden, diese Cyberkriminellen, Pest unserer Zeit und all das. Dass er davor in seinr langeweile viele dieser hirnverbrannten Namenstests gemacht hat und so tumb und taub in eine digitale Bärenfalle getreten ist, weiß er nicht, versteht er nicht, sagt er nicht.
Vor Aschermittwoch und nach Ostern würde ich ihn auf seine Digitalinkontinenz hinweisen, dazu einen der einschlägigen Links zu dem Thema, wo er lesen könne, was für ein Trottel er doch sei, er sei doch sonst eher einer, der … und so weiter.
Nicht während des Deppenfastens. Ich klicke auf „nicht mehr abonnieren“, sehe ihn online nicht so schnell wieder und lächle.
Lange bevor der oben erwähnte Auslieferungs-Service in München oder Greding starten konnte, habe ich den lokalen Autohändler in Mainz per E-Mail gefragt, ob denn nicht er mir so ein Luxus-Auto verkaufen wolle. Keine Antwort niemals nie bekommen. Wochen später bei einer Veranstaltung traf ich ihn persönlich, sprach ihn darauf an, ob er die Mail denn nicht bekommen habe. Doch doch, habe er. Jedoch – doch doch – er habe gerade nichts Passendes im Angebot gehabt und bei der Wiedervorlage sei es dann wohl verloren gegangen.
Zwischen Aschermittwoch und Ostern hätte ich ihn gefragt, ob er noch irgendetwas merkt und als Autoverkäufer mal darüber nachgedacht hat, ob es seine Aufgabe sein könnte, Autos zu verkaufen, anstatt Lachsschnittchen zu essen. Ich hätte seinen Chef gefragt, womit er bei solchem Personal denn so sein Geld verdienen wolle.
Doch ich mache Deppenfasten. Deswegen habe ich ihm freundlich lächelnd die Hand geschüttelt, werde mir zukünftig Anfragemails sparen, hoffe, dass er schon genug Autos in seinem Autoverkäuferleben verkauft hat, um etwas anzusparen und später nicht von staatlicher Rente darben zu müssen, lächle in mich hinein und warte entspannt auf den Auslieferungs-Service aus München, äh, Greding.
Deppenfasten ist eine enggetaktete Aufgabe: Da gibt es den IT-Dienstleister, der mir in einem Facebook-Kommentar Unterstützung anbietet. Ich schreibe ihn per Messenger an, ob er mir helfen könne. Seine Antwort: Er verweist mich auf einen Link, den er in einem Kommentar gepostet habe. Damit könne ich einen Termin mit ihm vereinbaren. Wie praktisch. Nicht so praktisch, dass er mir den Link nicht einfachnochmal per Messenger schickt. Ich soll mir also die Arbeit machen, den ursprünglichen Beitrag zu suchen und dort seinen Kommentar (einer von 43) mit dem Termin-vereinbaren-Link zu finden. Er erweist sich also beim ersten persönlichen Kontakt als Dienstleister, der nicht weiß, was das eigentlich ist. Es wäre zum verzweifeln, wie schwer sich manche Zeitgenossen doch tun, über die eigene Stummelnase hinzu zu denken und das, was sie tun, richtig gut zu tun.
Doch nein, zwischen Aschermittwoch und Ostern vielleicht, jetzt ist Deppenfasten angesagt und ich freue mich, mit ihm keine Geschäftsbeziehung leichtsinnig eingegangen zu sein.
Ich bin nicht sicher, ob es an gesellschaftlichen Verwerfungen oder am kommunikativen Wandel liegt. Gefühlt werden die Deppen mehr. Also solche Zeitgenossen, die so weit von meinen Werten, meiner Sicht auf die Welt entfernt sind, dass ich sie höchstens noch tolerieren kann. Akzeptieren ist schon schwieriger, denn ich kann zwar einsehen, dass es sie gibt, weil ich nicht den Kopf in den Sand stecken mag. Aber ihnen ihre Sicht der Welt zuzugestehen fällt mir zunehmend schwer Denn ich muss ja fürchten, dass sie sich und ihren Irrsinn ausbreiten.
Mein Deppenfasten folgt ja traditionell der Fastnacht, dem Karneval, dem Fasching. Diese Zeit ist offiziell vorbei, doch die Nachwehen rollen noch immer durchs Land und als Mainzer habe ich dazu etwas zu sagen. Genau: Es geht um Annegret Kramp-Karrenbauer. Die CDU-Vorsitzende hielt eine Fastnachtsrede und machte Witze über das Berliner Establishment und das sogenannte dritte Geschlecht. Mir ist ziemlich egal, ob AKK irgendetwas witzig findet und wenn ja, was. Doch was dann geschah, löst bei mir Deppenalarm galore aus. Die politisch korrekten Wutbürgerwellenreiter attackieren sie heftig. Sie habe das Prinzip der Fastnacht ins Gegenteil verkehrt. Denn dieses Prinzip bestünde darin, dass die Kleinen die Großen kritisieren, also die machtlosen die Mächtigen. Das ginge gar nicht. Gar nicht so einfach, das Deppenfasten.
Vielleicht war es ja genau andersrum: Eine rhetorisch machtlos wirkende CDU-Verwalterin, deren Chancen auf Kanzlerschaft mit jedem Tag blass und blasser werden, begehrt auf gegen die Macht der Political Correctness, mit der alle, die früher Randgruppen genannt werden durften, nun eine ganze Gesellschaft politisch, sprachlich, juristisch vor sich her treiben.
Entschuldigung: Ich muss einfach mal kurz fastenbrechen, nur kurz, aber es ist mir wichtig, muss raus: Jene, die so wortgewaltig Toleranz einfordern, jedoch Akzeptanz meinen (Hier mein Podcast dazu, „Toleranz hat die Faust in der Tasche“) leben das Gegenteil dessen, was sie fordern. Das hat ja mal in der politischen Linken angefangen, bei den 68ern, der Frauenbewegung, Gorleben, den Grünen und all dem. Wertvoll, wichtig, ich habe selbst in den 90ern die zweite Welle der Studentenproteste mitgetrieben und wundere mich, was sich junge Menschen heute alles gefallen lassen. Doch all das hat sich von links kommend so weit weiter nach links bewegt, dass alles ganz rechts wieder rauskam und heute selbsternannte Sprachfaschisten an unserer Kultur nagen wie Hyänen an der kranken Kuh.
Hat was von der katholischen Kirche: Die Hirten vergehen sich an ihren Schäfchen und keiner jagt sie von der Weide.
Wo jene, die sich so gerne machtlos geben, Macht haben, greifen sie als Machthabende direktiv in Sprache ein, wie in Hannover, wo die Amtssprache per ordre de mufti mal eben entgeschlechtet wird und alle Sprechenden von den Regierenden verdonnert werden, primärende und sekundärende Geschlechtsmerkmalende auf die einzig wahrende Art zu verwendende. Das Ende.
Wie die Schriftstellerin Monika Maron, der Sprachgott Wolf Schneider und der frühere Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus in ihrem Protestaufruf gegen den „Gender-Wahnsinn“ zu Recht feststellen: Sprache lässt sich nicht von oben verändern. Hier wird der Aufruf von der Südddeutschen übrigens in die Nähe des Reaktionären gerückt, wegen Unterzeichnern, die dem dumpfen Rechtsmillieu zuzuordnen seien, ein Klassiker der Klassenkampf-Rhetorik.
Sprache ist Leben, ist Gesellschaft, ist Politik und all das zusammen und untrennbar. Wenn dieses Direktoren-Prinzip mit Segnung von oben wie in Hannover funktionieren würde, wären die Nordkoreaner das glücklichste Volk der Welt, Lehrer, die bei McDonalds essen, bekämen Fortbildungspunkte und Germanys Next Top Model würde von Femen empfohlen.
Die von anderen geforderte Hypersensibilität macht ja nicht vor der Sprache Halt: Wenn diese zu Weltruhm aufgestiegene Hamburger Kita Eltern faschingsfeiernder Kinder von Indianerkostümen abrät, um die Gefühle der nordamerikanischen Ureinwohner nicht zu verletzen und zugleich über deren nichtidentitäre Zersplitterung doziert, passiert zweierlei: Ich frage mich, was Hamburg mit Fastnacht zu tun hat und sehe junge Frauen mit links kurz rechts lang das Haar, die beflissen nicken, den Kopf in kollektiver Weltscham senken, dass die Plastikblume am Hollandfahrrad welkt. Also jenes Hollandrad, das in der Doppelgarage hinter dem 2,5-Tonnen-City-SUV rostet.
Die Kultursensibilität, die von den Deutungshoheiten unseres einzig richtigen Lebens gefordert wird, stünde tatsächlich allen – Hoheiten und Vasallen – gut zu Gesichte. Denn Rassismus, Intoleranz und Diskriminierung beginnen nicht in der Kita, nicht an der Uni, nicht am Tresen, nicht nicht am Arbeitsplatz, nicht bei Facebook und anderswo. Sie beginnen in dem alles entscheidenden Raum zwischen den Ohren. Eine Frage der Einstellung, der Haltung, der Bildung.
Gottes Tiergarten ist voller wundersamer Geschöpfe. Wer weiß, was sie dazu gebracht hat. Ganz recht, ich mache wieder Deppenfasten. Final zusammengefasst mein Rezept aus drei Zutaten:
1. Über die meisten Absonderlichkeiten lässt sich prima lachen. Am besten im Straßenverkehr üben.
2. Nicht über jedes Stöckchen springen. Ignorieren, übersehen, gar nicht erst ins Leben lassen schützt.
3. Sich selbst nicht so wichtig nehmen. Das reduziert die eigene Angrifffläche enorm.
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