Warum Intelligente mehr Zeit haben.
Es gibt dieses Bonmot, dass die Zeit doch immer schneller verrinne. Doch manchmal empfinden wir das genau andersrum, dann scheint Zeit sich zu verlangsamen. Dafür habe ich zwei Theorien, eine sympathischer als die andere.
Zeit bleibt ein spannendes Material. Auf der einen Seite unbestechlich, tickt die Uhr unter physikalisch stabilen Bedingungen durch Sekunden, Stunden, Tage, Wochen und Jahre und teilt unser Leben in gleich große Teile. Auf der anderen Seite wissen wir seit Einstein, dass das so unbestechlich gar nicht ist und das Hilfskonstrukt Zeit so stabil ist wie eine Sandburg am Atlantikstrand. Und auch jenseits der naturwissenschaftlichen Beschäftigung spüren wir sehr genau, dass Zeit nicht fix ist. Allein das Wörtchen „Zeitgefühl“ legt dafür romantisch Zeugnis ab.
Nun sagt mir mein Zeitgefühl seit geraumer Zeit, dass die Zeit Momentum verliert, langsamer verrinnt. Ich wundere mich, wie kurz zurückliegt, was in meiner Erinnerung weit entrückt und staune immer wieder, wie viel Wegstrecke wir an einem oder wenigen Tagen zurück legen können. Gleichzeitig sehe ich, dass manche Zeitgenossen in Jahren kaum vom Fleck kommen – aber das ist ein anderes Thema.
Getreu dem Motto, dass jeder das bekommt, was er tragen kann, scheint sich das Verhältnis zwischen Aktivität und dafür zur Verfügung stehende Zeit stark zu konzentrieren. Das meiste davon haben wir uns gewünscht, das andere nehmen wir demütig an und stellen unser Kreuz in starkem Glauben in den Wind. Die Erfahrung der Lebensjahre lehrt, dass wir bald, wenn die Dichte wieder nachlässt, verwundert lächelnd zurück schauen und nicht mehr nachvollziehen können, wie das war, als so viel los war. Wie wir geschafft haben, was heute kaum mehr möglich scheint.
Somit wäre das Zeitgefühl davon abhängig, was alles in dieser Zeit geschieht, uns widerfährt, geschaffen wird.
Und dann gibt es noch die Matrix. In diesem besten Film der Welt geht es in einem faszinierenden Nebenstrang auch um Zeit – denn die Wachowski Brüder, die heute Wachoski Schwestern heißen, führten etwas ein, das heute Standard ist, aber in ebendiesem Streifen eine Revolution war: Die Bullet-Time, eine Art Superzeitlupe, dank derer unser Held Neo den Kugeln des Bösen ausweichen kann, weil sie in seiner Wahrnehmung sehr langsam auf ihn zufliegen, während Umstehende ihn sich blitzartig bewegen sehen. Die filmtechnische Realisierung interessiert mich dabei viel weniger als die Fähigkeit des Charakters Neo, optische und sensorische Informationen so schnell zu verarbeiten, dass für ihn die Zeit zu bremsen scheint.
Wir definieren Intelligenz gemeinhin auch mit der Geschwindigkeit, mit der Informationen verarbeitet werden können. Zugespitzt: Wer erst kapiert, dass die Ampel auf grün gesprungen ist, wenn sie schon wieder rot zeigt, kommt nie vom Fleck oder muss Gesetze brechen.
Ich habe einen Freund, der berichtete mir, lange bevor die Matrix ins Kino kam, dass er in kritischen Situationen sehr ruhig werde, reagiere, wie es nötig sei und das Gefühl habe, alles um ihn laufe in Zeitlupe ab. Einmal saß ich abends neben ihm im Auto. Er überholte riskant vor einer Kurve, als uns ein Fahrzeug entgegen kam. Mein Freund entschied sich für Vollgas, scherte wenige Zentimeter vor dem überholten Auto wieder ein – wir entkamen so einem schweren Unfall. Er hatte perfekt reagiert, alles richtig gemacht – und berichtete später, nachdem das Adrenalin wieder etwas weniger war, wie langsam ihm alles vorgekommen sei, was in der Realität der Passagiere nur Bruchteile von Sekunden gedauert hatte.
Sollte es möglich sein, dass Zeit sich langsamer anfühlt, wenn ich intelligenter bin – zumindest phasenweise?
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