Sokrates reloaded.
Meine verehrte Archäologieprofessorin Leibundgut-Maye war gleichermaßen begeistert von Menschen der Antike und der Gegenwart. Ich verdanke ihr meinen Studienabschluss, ich hatte fast schon abgebrochen, als ich sie und ihr wundervolles Fach für mich entdeckte. Und ich verdanke ihr so viel Wissen und Methodik. Bis heute kann ich wie aus der Pistole geschossen sagen, dass der Parthenon 448 bis 432 vor Christi errichtet wurde. Weil Wiederholung hilft.
Deswegen möchte ich heute ein Perlchen auffädeln, das mir demletzt wieder in die Aufmerksamkeit kullerte, die drei Siebe des Sokrates nämlich. Ich hatte sie fast schon wieder vergessen – und vor allem: vergessen anzuwenden. Auf einschlägigen Blogs und in Lehrbüchern wir die Nummer in teils ausschweifenden Dialogen erzählt, das mag zum Flanieren der Alten gepasst haben. Doch es ist Sonntag morgen, da mache ich es etwas kürzer:
Bevor du etwas sagst, lehrt uns der weise Sokrates, prüfe, was du sagen willst, indem du es durch drei Filter laufen lässt.
Ist es wahr, was du sagen möchtest?
Ist es etwas Gutes, was du sagen möchtest?
Ist es nützlich, was du sagen möchtest?
Vermutlich wäre es auf Pausenhöfen, in Großraumbüros und Damentoiletten sehr ruhig, würde dieses System konsequent angewendet.
Darüber ließe sich endlos philosophieren, allein die erste Frage nach dem Wahrheitsgehalt ist in unserer hochkomplexen Zeit oft gar nicht mehr zu beantworten. Das erleben wir exemplarisch an der ganzen Klimadebatte. Und was gut und nützlich sein soll, auch darüber können sich die Geister trefflich scheiden.
Doch wie in der klassischen Archäologie gibt es keine immerklaren Verhältnisse und wenn wir darauf warten, bevor wir agieren, wird das nie was. Das war übrigens der entscheidende Punkt, warum ich nach vielen Semestern und noch mehr (für meine damaligen Verhältnisse) gut dotierten Jobs wieder den Spaß am Studium gefunden habe: Im ersten Semester der Archäologie konnte ich mit der Schweizer Koryphäe Prof. Dr. Annalist Leibungdut-Maye offen diskutieren – weil sie es zuließ und weil sie offen genug war, sich und uns einzugestehen, dass ihre Einschätzung eben nur ihre Einschätzung und keine absolute Wahrheit sei. Das faszinierte mich – und tat nach über 10 Semestern Katheder-Weisheit und Muff der Talare sehr sehr gut. So habe ich in vier Semestern das anspruchsvolle Studium der klassischen Archäologie begeistert und ausgezeichnet beendet – und den Rest gleich mit.
So mögen die Filter des Sokrates uns also Impuls sein, allenfalls Leitplanken, aber keine Leuchtstreifen auf dem Boden auf dem Weg zum einzig wahren Notausgang.
Falls nun der ein oder die andere den Kopf schüttelnd „ganz alter Kaffee“ in seinen Sonntagmorgenkaffee murmelt, hier kommt die Zugabe: Denn bei den Filtern des Sokrates denke ich immer auch an die Filter der Trixi. Die ist Hundezüchterin und ich habe einmal einen Welpen von ihr bekommen. In Sachen Hundeerziehung lehrte sie uns Wertvolles: Bevor wir unserem Hund einen Befehl gäben, sollten wir uns drei Fragen stellen:
Bist du klar, kann der Hund verstehen, was du von ihm willst? So legendäre Kaskaden wie „Sitz, Platz, Komm schon her, jetzt komm doch, ach nein bleib bitte stehen, da kommt ein Auto“ sind nicht klar. „Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du dich hinlegen sollst?“ auch nicht.
Ist der Hund gerade in der Lage, den Befehl auszuführen? Wenn ein Jagdhund gerade hinter einem Feldhasen herhetzt, ist er es nicht. Wenn er gerade frisst, verteidigt, schläft, auch nicht.
Was wirst du tun, wenn der Hund deinem Befehl nicht folgt?
Erst, da war Trixi ganz sokratisch, wenn du alle drei Fragen für sich beantwortet hast, dann gib den Befehl. Meine Erfahrung: das funktioniert hervorragend. Bei Hunden, bei Kindern und bei Mitarbeitern.
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