Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis.

Es ist eine Sache, auf einen Marathon zu trainieren. Doch ganz egal, wie viele Trainingskilometer du abspulst, wie gering dein Körperfettanteil, wie exquisit deine Ausrüstung – einen Marathon dann tatsächlich zu laufen, ist etwas völlig anderes.

Der erste Marathon ist einmalig, umwiederholbar, unvergesslich: ich höre noch den (jetzt ehemaligen) Stadionsprecher von Mainz 05, den wunderbaren Klaus Hafner, liebevoll „Fettsack“ gerufen, wie er mir auf den letzten Metern meines ersten Marathons über die Lautsprecher zuruft: „Ja, du schaffst es, auch du bist ein Finisher!“ Die Theorie ist womöglich grau, in jedem Fall ist sie mit der Praxis nicht zu vergleichen.

Was immer die Disziplin: Wer auf eine Höchstleistung hinarbeitet, hat sich tausendmal gefragt, wie es sein wird, hat versucht, es sich vorzustellen – schließlich gehört dies mittlerweile zum Standard-Repertoire des Mentaltrainings. Vorher im Kopf durchgehen, was vor dir liegt und sich reinfühlen, wie es sein wird, es geschafft zu haben.

Doch dann, wenn es wirklich soweit ist, kommt es anders als erwartet und dann kann es schon mal passieren, dass Mann mehr auf dicke Hose macht, als einem vor den Augen der Weltöffentlichkeit lieb ist – wie Feliks Zemdeg, australischer Weltrekordhalter im Lösen des Rubiks Cube. Seine Zeit: 4,73 Sekunden, mittlerweile hat der Chinese Yusheng Du eine 3,47 hingelegt.

Übrigens fühlt sich auch eine Niederlage komplett anders an als erwartet. Aber darum soll es heute nicht gehen.

Es ist wie mit dem Kinder kriegen. Als Vater kann ich voller Begeisterung mehrere Stunden lang über Kinder im Allgemeinen und meine Kinder im Speziellen schwärmen. Andere Väter verstehen das und spätestens, wenn wir uns gegenseitig auf dem Smartphone Bilder unserer liebsten Kleinen zeigen, ist die ewige Freundschaft für den Moment besiegelt. Doch wer nicht Vater ist, versteht nicht. Das ist kein Vorwurf, er kann es einfach nicht verstehen, es fehlen die elementaren Voraussetzungen.

Du kannst dich an den Gedanken gewöhnen, einen lieben Menschen zu verlieren, wenn du den Gedanken nur oft genug gedacht hat. Und du kannst Vorbereitungen treffen. Doch das kalte Eisenband um den Hals zu spüren, wenn der Tod naht, ist etwas völlig anderes, nicht planbar, nicht ahnbar.

Das Einzige, was wir tun können, ist uns ganz und gar auf das unvermeidbare Leben einzulassen, nicht der Illusion der Planbarkeit und perfekten Vorbereitung zu erliegen und das Leben zu leben, wie es sich jeden Tag von Neuem vor uns entfaltet.

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