Zu Ende denken hilft.
In dem herrlichen Film „Findet Nemo“ endet eine Szene wie viele Ideen, Innovationen und Projekte auch. Die Fische sind der grausamen Nichte des Zahnarztes P. Sherman entkommen, haben sich, eingeknotet in Plastiktüten voller Wasser, über die Fensterbank und eine vielbefahrene Straße bis ins Hafenbecken gerollt. Dort dümpeln sie an der Wasseroberfläche – und es fällt dieser wunderbare Satz: „Und jetzt?“ Bis hierhin hatten sie gedacht, geplant – doch wie sie aus den Tütchen rauskommen sollen, das wissen sie nicht. Zu Ende denken hilft.
So ergeht es uns oft genug im richtigen Leben: Wir starten, haben die ersten Schritte gedacht, aber das Ziel ist nicht klar, die letzte Etappe nicht geplant. Das ist ja einerseits ganz prima, denn nicht zu Unrecht sagen wir gerne, dass anfangen, starten, einfach mal loslegen das Wichtigste ist. Und oft genug genügt das ja auch, weil die Detailplanung später noch immer rechtzeitig kommt. Oft genug können wir das Ende auch gar nicht absehen. Und manchmal ist das sogar gut. Es gibt ja so schon zu wenig Selbstständige und Unternehmer – wenn jeder vorher wüsste, wie weh das tun kann, wie schief das gehen kann, es gäbe noch viel weniger davon.
Doch häufig kann das fatal ausgehen, wenn das Ende oder mögliche Endszenarien nicht bedacht werden. Ist ein bisschen wie bei der Atomkraft, die entwickelt und ausgebaut wurde, ohne zu wissen, wohin mit den extremen Abfällen, als wäre ein Flugzeug gestartet, bevor die Landebahnen erfunden wurden.
Was haben wir uns gefreut, als die Beleuchtungsindustrie immer sparsamere Technologien in den Markt brachte – jedoch nicht ohne Tücken: Erst die Sparbirnen mit Quecksilber – hochgiftig. Tatsächlich haben wir uns Glühbirnen in Kinder-, Wohn- und Esszimmer geschraubt, die sehr gefährlich sind: Wenn sie kaputt gehen, so der dringende Ratschlag, solle man den Raum verlassen und gut lüften.
Dann kam die LED-Technik: Viel sicherer, viel günstiger, noch viel sparsamer. Dennoch sinkt der globale Energieverbrauch nicht, weil die leichte Verfügbarkeit von Beleuchtungstechnik und die geringen Betriebskosten dazu geführt haben, dass jede Ecke ausgeleuchtet wird und das Licht einfach anbleibt – kostet ja (fast) nix. Lichtverschmutzung ist das Wort der Stunde, die Nacht verschwindet – hatte irgendwie keiner auf dem Zettel, als die LEDs aufkamen, oder?
Ein derzeit vieldiskutierter Trend sind selbstfahrende Autos und Busse. Tesla treibt den Markt, auch wenn sie statistisch zu vernachlässigende PR-Desaster aushalten müssen, die großen Digitalunternehmen entwickeln und testen. Es klingt ja auch zu verlockend: Unproduktive Autozeit wird mit einem Schlag zu produktiver Arbeits-, Schlaf- und Vergnügungszeit. Unfallstatistiken brechen ein, weil Fahrautomaten nicht in Gedanken abschweifen, am Handy fummeln, alt und reaktionsschwach werden. Unsere Innenstädte verändern sich drastisch, weil wir weniger Parkplätze brauchen. Schließlich muss das teure Auto nicht mehr auf uns warten, während wir erledigen, was wir zu erledigen haben. Wenn es unser privates ist, fährt es wieder weg, wenn es ein geteiltes ist, fährt der Nächste damit weiter. Baukosten werden sinken, wenn teure Tiefgaragen leer bleiben, die Straßen werden leerer, sicherer, leiser.
Wirklich?
Eine Schweizer Studie kommt zu einem anderen Szenario: Wenn selbstfahrende Autos verfügbar sind, ist diese Art des Reisens nicht nur attraktiver als der alte Selbstlenker, sondern auch als Busse und Bahnen, Taxis, Ubers und was es sonst noch so gibt. Dazu kommt, dass die Erlaubnis, so ein Gefährt zu bewegen, nicht mehr am Fahrer mit Mindestalter, Führerschein, kein Alkohol usw. hängt – sondern am Fahrzeug selbst. Mit anderen Worten: Jedes Familienmitglied kann das selbstfahrende Auto nutzen, um in die Stadt zu fahren.
Jetzt mögen Shuttle-Eltern aufjauchzen, weil die Infantin alleine zum Geigenunterricht kommt und der Thronfolger zum Logopäden. Doch dies könnte, so die Studie, wieder einen so genannten Rebound-Effekt auslösen, wie wir ihn von den LEDs kennen, wenn viele, die bisher nicht individuell unterwegs waren, es nun sind: Kinder, Alte, Betrunkene, Arme, Touristen und der ganze Rest.
Es wäre also eine gute Idee, unsere Stadtplaner, Politiker, Visionäre (vermutlich drei komplett unterschiedliche Zielgruppen) würde sich alsbald zusammensetzen und die Rahmenbedingungen neuer Mobilität besprechen.
Die herrlich-löchernde Kinderfrage „und dann“ hilft dabei – auch wenn auf dem Weg zu den einzelnen Szenarien viel passieren kann, auch wenn die Wahrscheinlichkeiten sich verändern während der Zeit.
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